Es fällt jedes Jahr sehr schwer, die Glücksblumeninsektenwiese zu mähen. Sie ist eine solche Überraschungstüte, jeden Morgen neu. Und eine Vielfalt von Insekten feiert genussvoll von früh bis spät Partys darinnen, die summenden Bässe voll aufgedreht, schillernde Metallicrüstungen an oder knallgelbe Pluderhosen von all dem Pollen. Voll im seligen Lebenssrausch fliegt keines von ihnen noch gerade. Die Hummel torkelt in den Pinselkäfer, der Schmetterling kriegt die Kurve nicht mehr hin und die Marienkäfer stürzen beim Liebesspiel in den Klee.
Aber einmal im Spätsommer muss es sein, sonst funktioniert eine Wiese nicht. Die zarten Kräuter brauchen Licht und werden sonst erstickt. Die Larven auf dem Boden können sich nicht entwickeln, wenn es dort zu kalt ist weil zuviel Schatten entstanden ist. Gemäht wird in Etappen, und das Schnittgut eine Weile liegengelassen, damit die Bewohner in Ruhe umziehen können. Immerhin duftet es gut. Und es sind so viele Samen auf den Boden gefallen, die für einen neuen Kreislauf sorgen werden. Man kann sich bedenkenlos auf sie verlassen.
Und während ich schnippele und schneide und andächtig staune, was mir dabei so alles begegnet, denke ich daran, wie oft es schwerfällt, etwas loszulassen und Freiraum für Neues zu schaffen. Und dass man manchmal auch mächtig radikal sein muss, damit es funktioniert, und die eigenen Verlustängste und Traurigkeiten überwinden. Einfach beherzt zupacken. Dann wird das schon, und es grünen und gedeihen wundersame Dinge, von denen man nicht einmal ansatzweise etwas geahnt hat.
Memo an mich selbst: Wenn man vertraulich mit Disteln und Brennesseln diskutiert, Gartenhandschuhe besser VORHER anziehen.
Den Grillkamin im Garten haben wir mit Hilfe tatkräftiger Freunde vor einem Vierteljahrhundert gebaut. Seitdem hat er viele Grillabende, Arbeitstreffen, Jubiläen, Taufen, Hochzeiten, Geburtstags- und andere Familienfeiern begleitet. Nach Fleisch oder Gemüsepäckchen, Folienkartoffeln, geröstetem Obst, geschmolzenem Käse oder ebensolcher Schokolade gab es Lagerfeuer darin, mit Gitarrenmusik, Gesprächen, Lachen und Sinnieren bis weit in die Sommernächte hinein.
Die Menschen jener Jahre sind nun längst nicht mehr da und mein Bedarf an Grillfesten schon lange vergangen. Doch da steht immer noch der Kamin, bereit, jederzeit wieder in Gebrauch genommen zu werden . Inzwischen jedoch hat ihn kurzerhand der Kürbis erobert, auf der Suche nach einer Stütze. Kaum ein paar Tage unbeobachtet, hat er, ins Licht und zum Himmel strebend, beherzt zugegriffen. Ich lasse ihn gern gewähren, denn er hat mir wieder einmal gezeigt, dass man naheliegende Gelegenheiten nutzen soll ohne zu grübeln: ob man alles richtig macht, ob sich das gehört, ob man einen Gegenstand so einfach umwidmen und für etwas anderes verwenden kann, darf oder sollte, ob es zu unordentlich ist, ob etwas passieren könnte oder es einfach zu ungewöhnlich ist, und was man sich sonst noch so für Gedanken, Zweifel und Hindernisse auferlegen könnte. Ich will wie er bei Möglichkeiten, auf die ich unvermutet stoße, die Hoffnung einfach grün wuchern lassen, die Unternehmungslust ausufern, tatkräftig neue Wege beschreiten, ohne Zögern, ohne unnötige Fragen, dann reift auch so manches Gutes.
Der zartgrüne, leuchtende Frühling ist geglückt und gegangen, ebenso das erste wilde, ausgelassene, überwältigende Blühen allerorten, das in einen Rosenrausch und die Sonnenwende mündete. Nun brechen die ruhigeren Tage an, warme, langsame, goldene Sommertage, eingerahmt von dichtem Dunkelgrün, begleitet von geheimnisvollem Gewittergrollen, das uns daran erinnert, dass wir nicht alles ordnen können und in der Hand haben. Die Grashüpfer beginnen allmählich, ihre Stimme zu erheben. Sie singen von Sommer, Liebe und den schönen Dingen im Leben und auch von der Kostbarkeit der Zeit. Und mit ihnen beginnen die Wochen der Taglilien. Sie kommen mit einem zarten, edlen Duft, in schlichter, stiller Eleganz, mit einer goldenen Tiefe, in der man versinken könnte. Und sie sind unermüdlich. Sie füllen die Lücken im Beet und schenken uns Reichtum, in aller Bescheidenheit. Dafür verwenden sie mit Großzügigkeit und Ehrfurcht alle Farben, die sie der Sonne abgeschaut haben, von Morgenapricot über Mittagsgold bis Sonnenuntergangsrot. Es gibt sie in zahllosen Formen und Größen, und sie alle sind sich einig: Der Grund ihres Seins ist, das Leben zu feiern. Heute. Jetzt. Länger öffnet sich die einzelne Blüte nicht. Der Tag ist ihr Königreich, die Gegenwart ihr Glück.
Meines auch. Ich kann mich nicht sattsehen an ihnen und an dem, was sie mich lehren. Ich stecke die Nase tief in jede, und dabei könnte ich von Morgens bis abends den Grashüpfern lauschen.
Nicht umsonst spielen sie beide eine tragende Rolle in einem meiner Romane, die Lilien und die Grashüpfer. Sie haben es verdient.
Draußen ist es heiß, lähmend heiß, das Atmen fällt schwer. Man lässt den Kopf hängen wie die Blüten, deren Blätter im Minutentakt fallen. Und doch: da ist so ein Reichtum an Duft, Farben und schierer Lebensenergie- und Fülle. Überschwänglich, überbordend, alles erfüllend. Denn es ist Rosenzeit, Juni, der Rosenmonat, und wohl auch ein besonderes Rosenjahr, und es gibt keinen Winkel in Lucys Garten, wo nicht schwere Rispen voller Rosenblüten über allem hängen, an unermüdlichen Trieben die sich schlängeln, sich erheben, an und über Mauern klettern, dem Himmel zustreben, sich zueinander oder zur kühleren Erde neigen.
Alle Farben, dunkelrot über orange, gelb, rosa und weiß, alle Formen, einfach bis gefüllt. Einmalblühend, öfterblühend, Wildtrieb und Züchtung, Busch-, Rambler oder Kletterrose. Klangvolle Namen wie Bathsheba, Gloria Dei, Golden Showers oder Jude the Obscure, und viele Namen, die ich vergessen habe oder nie gekannt. Es spielt alles keine Rolle: die Rosen feiern das Leben in einem gemeinsamen Fest, in einem ungenierten, mitreißenden Rausch. Sie leuchten sogar nachts, wenn der Rosenmond silbern in den langen Sommerabend steigt.
Sie ist kurz, diese Zeit, kürzer noch als sonst, da die Hitze brennt und gar nicht soviel gegossen werden kann wie es nötig wäre. Rosen sind Tiefwurzler und vertragen viel, doch die Blüten haben es schwer. Doch all das kümmert sie nicht. Es geht nicht darum, ob sie morgen noch blühen oder auch gestern schon. Sie feiern das Heute, den Tag, den Augenblick, und der ist dermaßen erfüllt, dass es genügt. An dieser Energie, an dieser freudigen, genügsamen Gegenwärtigkeit können wir uns anstecken, es genauso machen, wenigstens manchmal, und dann wird ein Geschenk daraus, ein leichtes, strahlendes, duftendes, in dem alles enthalten ist, was wirklich zählt.
Ich durfte mehrere solche Geschenke genießen, in diesem besonderen Sommer, mehr als je zuvor. Die Rosen fassen in Gestalt, wofür ich keine Worte habe. Und zeigen, wie wenig man manchmal ahnt, was für Knospen sich morgen noch öffnen werden.
Die Amsel nistet schon zum zweiten Mal in diesem Jahr. Auf der Lampe, die nie brennt, weil der Mond hell genug ist, und ohne ihn auch die Nacht in der Stadt. Sie fühlt sich geschützt dort und hat das alte Nest gleich noch einmal verwendet. Gelegentlich ärgert sie sich, dass ich so oft dort vorbeigehe, aber sie weiß auch, dass das mehr Sicherheit für sie bedeutet. Sie duldet den Menschen in ihrem Revier, weil er zumindest hier besser für sie ist als Katzen und Waschbären.
Die Hecke ist schnell blickdicht geworden, das Grün hat sich wie eine Welle über den Garten ausgebreitet. Die Frühlingszwiebeln sind verblüht, dafür geben nun Akelei, Waldrebe, die ersten Wiesenblumen, der Goldlack und die Präriekerze ein Konzert aus Farben. Der Löwenzahn mit seinem frechen, geliebten Knallgelb ist gekommen und in Form von ebenso geliebten Pusteblumen schon beinahe wieder gegangen. Die blaue Holzbiene war schon da, und ihre kleineren Verwandten sind ohnehin schon lange emsig am Werk. Das Allium zündet ein Feuerwerk und die Zierkirsche hat rosa Konfetti über alles gestreut wie einen Segen. Die ersten Rosenknospen plustern sich schon auf, ein wenig später in diesem kühlen Jahr, umso größer ist die Vorfreude. Die Stichlinge im Teich sind mit Nachwuchs beschäftigt, der Frost hat ihnen nichts anhaben können, und Seerosenblüten wird es auch geben, irgendwann später. Und dem Himmel sei Dank – im wahrsten Sinne des Wortes – hat es endlich einmal viel geregnet.
Es ist alles in bester Ordnung in Lucys Garten, so wie es sein soll in einem Frühling, ein glückliches Durcheinader aus Spontanvegetation und Gepflanztem. Ich habe vergessen, was ich im letzten Jahr gesetzt habe, und nun tauchen überall Überraschungen auf. Wie im Leben, das manchmal mit noch viel gewaltigeren Geschenken um die Ecke kommt, wenn man am wenigsten damit rechnet. Vielleicht ist es der beste Frühling von allen. Ein Garten ist ein guter Ort, um sich daran zu erfeuen, darüber zu staunen und sie mit Demut anzunehmen und zu genießen.
Der Wind ist heute launisch, er hat so viel zu erzählen. Kennt Ihr das auch, dass Menschen in einem Garten unsichtbare Spuren hinterlassen? Er hat ein Gedächtnis, nicht für jeden lesbar, aber doch deutlich da. Es ist wie Dünger in der Erde. Wer einmal dort glücklich war, bleibt auf rätselhafte Art anwesend. Die Glockenblumen erzählen vielleicht von jemandem, der vor langer Zeit an ihnen vorüberging und ihr Blau mochte. Die Erdbeeren von einer, die sie am liebsten mit viel Zucker aß. Die wuchernde Rose von wem, der sie gepflanzt hat. Aber vor allem sprechen die Grashalme, die Kräuter, die Taglilien, die Hornveilchen, der ganze Einklang der freudig grünbunten Gesellschaft des Gartens, selbst die Erde von jenen, die auf geheimisvolle Weise einfach dorthingehören, frei von Zeit. Und vor allem vielleicht von einem, der gestern da war und schon öfter, und auch wieder da sein wird, den sie aber heute vermissen. Davon flüstern sie mit dem Wind und den Wolken und erzählen ihnen Geheimnisse und schöne Geschichten vom Leben mit seinen Fragen und Sehnsüchten, seinen Überraschungen und seinem Glück.
Und in der Erde wachsen die Wurzeln in die Tiefe, beflügelt von allem, was da oben im Licht so geschieht.
Noch sind die Nächte kalt. Doch wenn man nach Sonnenuntergang in einer warmen Jacke durch Lucys Garten spaziert, liegt schon eine Ahnung von Sommerabenden darin. Ähnlich wie der Vorgeschmack auf der Zunge, wenn man das Etikett von Lieblingsbonbons im Regal entdeckt. Denn im Dunkeln streuen die Solarlichter mit dem gesammelten Licht des Tages einen stillen Zauber über alles. Pflanzen, die noch klein sind, werfen lange Schatten, zeichnen Bilder auf die Steine und erzählen von dem, was kommt. Im Amselnest wispert es und auch am Teich – eine Maus, ein Igel, ein Frosch? Die Nacht gibt ihre Geheimnisse nicht preis, aber sie sind gegenwärtig, unsichtbar wie ein Segen, zart wie ein Versprechen. Es lohnt sich, einen Moment innezuhalten und zu lauschen, zu schauen, und sich in den Moment fallenzulassen. Die Kälte ist dann wie ausgelöscht für eben diesen Moment. Wunder wärmen, und die echten Märchen sind so sichtbar, wenn man möchte.
Sorgenvolle Zeiten gibt es immer wieder, gerade sind sie sehr gegenwärtig. Für den Einzelnen, jeder in seiner Geschichte verstrickt. Ebeso für uns alle gemeinsam, die uns die Welt teilen. Wer weiß schon, was richtig ist, was wenigstens am besten? Manchmal fällt es schwer, überhaupt aufzustehen und allem zu begegnen, was da wartet und kommt.
Aber dann blüht vor dem Fenster eine Narzisse. Ein Schmetterling fliegt vorüber, noch klamm, aber entschlossen. Hier öffnet sich eine Primel, dort eine Tulpe in übermütigen Farben als zähle nur das. Der Pfirsichbaum ist voller Knospen. Auf der Straße an den Baumscheiben reckt sich fast schon der erste Löwenzahn, verspricht Pusteblumen. Gänseblümchen und Rosen, Äpfel und Goldlack, Veilchen und Rittersporn tauchen auf. Manche zeigen erst kleine grüne Triebe, andere stehen schon in voller Blüte. Alle haben eines gemeinsam: Egal wieviel Kälte, Wind und Regen über sie hinweggefegt sind, sie streben aufwärts, sehen zum Himmel. Draußen geht nichts abwärts, nur vorwärts und aufwärts und weiter. Immer wieder Farben, immer wieder aufstehen, immer wieder wachsen.
An diesem kalten, windigen, oft grauen Apriltag begleite ich einen lieben Menschen durch eine beglückende Landschaft und spüre, wie dieses neue Grün mich mit seiner Energie ansteckt, mit seiner Hoffnung, seinem unerschütterlichen Plan. Wie der Duft der erwachenden Erde mich erfüllt und auch die helle Ahnung, dass neben all dem Schweren sehr vieles von dem, was kommt, gut sein wird, sogar ein Wunder. Man darf nur nicht zu anspruchsvoll sein bei den Wundern, muss man auch nicht, denn ein Wunder ist ein Wunder, es ist immer groß, egal wie klein es aussieht. Sonst wäre es ja keins. Ich habe gestern viele gesehen, in einem Wald voller Farnen und Buschwindröschen und verschlafenen Fröschen und verliebten Enten, an stillen und an flüsternden Gewässern. Und wenn ich heute durch Lucys Garten gehe, dann begegnen mir viele, die gestern noch nicht da waren, obwohl es noch immer kalt und grau ist. Nächste Woche sehen wir die Sonne wieder. Sie ist ja anwesend, hinter den Wolken, die Tulpen und Narzissen und Veilchen zweifeln keinen Augenblick daran, sie wachsen ihr einfach schon mal entgegen, bis sie sie sehen können.
Doch, es geht! Da draußen finden wir unweigerlich Trost und Mut, daruf ist Verlass, immer. Wir gehören doch dazu, zu diesen filigranen , anpassungsfähigen, hoffnungsvollen Lebewesen, wir sind eins mit ihnen, auch wenn wir es oft vergessen. Wir können das auch. Und es ist ein Anfang, sich unter sie zu begeben und von ihnen zu lernen und Stärke aus ihrer Schönheit zu schöpfen. Und wenn wir es gemeinsam tun, dann geht es noch besser.
Der Kinderbuchklassiker „Der geheime Garten“ von Frances Hodgson Burnett war eines meiner ersten Lieblingsbücher, wenn nicht das Lieblingsbuch überhaupt. In diesem Buch findet die kleine Heldin einen vergessenen, verlassenen Garten, der von einer Mauer umgeben ist. Ich träumte damals prompt davon, auch einen solchen für mich zu haben. Ummauerte Gärten, ein „walled garden“ sind in England Tradition: ein kleineres Stück Garten, ummauert und darum windgeschützt. Es gab Bücher mit Bildern solcher Gärten, die ich mir gern ansah und in Gedanken bepflanzte. Mit Weinstöcken zuallererst, nicht wegen der Trauben, sondern weil ich die Atmosphäre mochte, die sie schufen, und ihr Aussehen, wie sie knorrig die Mauern eroberten.
Meine Eltern hatten außerdem ein Faible für alte Burgen, Schlösser und Kloster, so dass wir in den Ferien viele davon besichtigten. Jedes Mal hatten die Klostergärten und Innenhöfe innerhalb von Mauern einen besonderen Reiz für mich. Etwas daran sprach etwas in mir an und ließ mich nicht los, ohne dass ich je wusste, warum eigentlich. Doch für manche Träume gibt es nicht nur keinen ersichtlichen Grund sondern auch einfach keine Gelegenheit, sie umzusetzen.
Ich liebe meinen Garten so, wie er ist. Er ist nicht groß, aber er wirkt ziemlich offen, mit einer lockeren Hecke auf einer und relativ durchlässigen Zäunen auf den anderen Seiten. Der Wind macht darin, was er will, und das soll er auch sehr gern, denn ich bin sehr mit ihm befreundet. Und er muss mir auch noch Geschichten erzählen, die ich schreiben möchte.
Doch dann war ich auf Recherche im Oderbruch. Dort gab es einen alten Hof, dessen geschützte, sonnenwarme Backsteinwände von alten Weinstöcken überwuchert waren. Meine alte Sehnsucht fiel mir ein und die Tatsache, dass es vorn auf meinem Grundstück noch einen Raum abseits vom Haus gibt, etwas breiter als eine Garage. Das Dach war undicht, schon immer. Es widerstand allen Reparaturversuchen. Und da hier einst jemand alles Unbrauchbare aufhob, war dieser Raum bis zum Dach voll vergammelnden Gerümpels, Sedimente von Jahrzehnten. Es lag mir schon lange auf der Seele, mich darum zu kümmern.
In diesem Jahr nun war die Zeit gekommen. Zeit für einen neuen, alten Traum, der aus irgendeinem Grunde nie seinen Reiz verloren hatte. Ich fand einen netten Betrieb, der mitten im eisigen Februar alles abfuhr, mitsamt der Belastung und schlechten Erinnerungen. Dabei wurde mir wieder einmal bewusst, wie wichtig und befreiend es ist, die Vergangenheit äußerlich wie innerlich aufzuräumen und Ballast abzuwerfen. Da für mich der Baumarkt pandemiebedingt unzugänglich war, besorgte Herr J. mittels seines Gewerbescheins den Farbton, um den ich ihn bat, strich die Wände und riss danach das Dach ab. Bis auf die Streben, denn daran sollen, wie bei einem Laubengang, Pflanzen ranken, so dass ihr lebendiger Schatten einmal Bilder auf den Boden malen kann.
Der Boden besteht aus Beton mit einem Gulli, über den das Wasser abfließt. Einfach Rasen säen und Beete anlegen ging also nicht. Ich entschloß mich, einen Holzfußboden mit Drainage darunter zu verlegen und dann geeignete Weinstöcke, Rosen, Zwergobstbäume und Kiwis in große Kübel zu pflanzen. Die Pflanzen sind nun das Einzige, was noch fehlt. Doch da dies ein Blog über Werden, Wachsen und Gestalten ist, möchte ich euch schon einmal teilhaben lassen und dann später berichten, ob etwas wächst, und was, und wie. Jetzt schon hat aber dieser kleine geschützte Rückzugsort einen besonderen Zauber für mich, auch wenn er dicht an der Straße liegt. Vielleicht werde ich dort schreiben. Vielleicht nur Träumen oder mit lieben Freunden Tee trinken. Man kann die Sterne und den Mond von dort sehen, die rosa Morgen- und die rötlichen Abendwolken.
Gute Fotos machen kann man dort in dem engen Bereich nur mit einem guten Weitwinkel. Ich weiß auch schon, wer das kann – dann, wenn der Traum gewachsen und die Pflanzen sich eingefunden haben.
Bis dahin nur ein Eindruck davon, dass manche kleinen, scheinbar unwichtigen Träume sich irgendwie durch Jahrzehnte retten können, bis ihre Zeit gekommen ist.
Nein, das ist kein Rechtschreibfehler. Dieser Tage sehe ich die Bienen und so viele andere, teils noch ein wenig verschlafene Insekten in Lucys Garten und überall drumherum. Ich genieße ihre hoffnungsfrohe Gesellschaft und ich sehe, wie sie ihre beneidenswert beweglichen langen Fühler in diese zarte, farbendurchtränkte Welt strecken, so weit in alle Richtungen, begierig nach Licht und Aromen und ihren jeweils eigenen Frühlingsplänen. Mir ist genauso zumute, und auch wenn unsere Fühler anders aussehen, wir besitzen sie auch! Also: Schuhe aus, und das erste Mal barfuß durch den Garten in diesem Jahr. Und dann fühle(r)n.
Das Fühlern ist so neu wie damals in der Kindheit, jedes Jahr wieder, auch nach sechundfünzig Jahren. Das junge Gras. Sonnenwarmes Holz, schattenkühles Holz. Kies und Steine. Kleine Äste. Moos und Klee. Trockener Sand und feuchte, fruchtbare Erde, deren Duft aufsteigt, wenn man sie berührt. Eine Fülle von Wahrnehmung unter den nackten Solen, die noch so empfindlich sind jetzt nach dem langen Winter. Doch diese Empfindsamkeit macht hellwach, und der Hautkontakt zum Boden, zu unserem Planeten, beglückt ganz unmittelbar. Abends werde ich irgendwann versuchen, die Erdspuren abzuwaschen und es wird ein Rest bleiben, der sich nicht entfernen lässt, weil unsere Haut und die der Erde einander doch so nahe und ähnlich sind, wenn man es nur nicht vergißt und auf dem Boden der Tatsachen bleibt. Diese Tatsachen sind doch im Grunde so einfach und so groß und so mehr als ausreichend. Das sehe ich im Gesicht jeder sich öffnenden Blüte.
Die pure Lebensenergie fließt von der Wiese, die gerade zu grünen beginnt, durch die Fußsohlen in mich hinein. Das ist so viel mehr als irgendein Fitnesstraining oder Entertainment. Das fühlt sich ganz und vollkommen und sowas von richtig an und ich finde, Barfußgehen im Frühling müsste ganz oben auf die Liste der schönsten Lebensereignisse. Dass wir fühlen können, ist ein Geschenk, aber das hier, in diesem Moment, an einem solchen Tag – da ist es eben mehr als Fühlen, da ist es Fühlern, dann können wir alle Sinne so weit und beweglich strecken wie die Insekten.
Dazu vielleicht noch das erste Eis am Stiel. Und wenn man diese ganze Glückseligkeit dann auch noch mit einem lieben Menschen teilen darf, der das Fühlern nicht nur versteht sondern ähnlich empfindet, dann ist es ohne Worte, dann ist es nur noch wie ein perfekt gelungenes Bild, voller zauberhafter Farben, Vogelmusik, Gerüchen und Geschmack und alten und neuen Erinnerungen, zeitlos und unzerstörbar.
Fühlern, das geht immer, auch in schweren Zeiten, sofern es nur die Gesundheit zulässt. Also, raus ins Grüne, und Schuhe aus, Leute!
Und frohe, gesunde und zuversichtliche Ostern! Es ist ein Fest der Erneuerung und Hoffnung für alle, egal welchen Glaubens oder ob ohne Glauben. Die Natur macht es uns vor. Und es gilt auch in diesem Jahr. Darum zünde ich euch noch eine Osterkerze an.
Wenn Ihr meine Geschichten kennt, dann wißt Ihr, dass mich die Landschaften und ihre Lebewesen inspirieren, ihre Schönheit, ihr Zauber, und das, was sie uns geben. Trost, Hoffnung, Freude, Glück, Heilung. Ich versuche es mit Worten einzufangen, doch noch besser geht das mit Bildern. Deswegen möchte ich Euch eine Seite wärmstens empfehlen, auf der man in diese Landschaften – auch die aus meinen Geschichten, wie z.B. den Spreewald – und ihre Magie nicht nur sofort eintauchen und von dem Anblick glücklich werden kann. Man kann Bilder, die etwas in einem zum Klingen bringen und hell machen, auch in allen Größen und Formen für das Zuhause erwerben. Wenn es draußen grau ist wie heute, dann gehe ich da stöbern, und allein vom Anblick geht es mir schon besser. Also, viel Freude dabei!