Owi

In dem Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ , das für mich immer noch das schönste Weihnachtslied von allen ist, gibt es eine Textzeile:

Gottes Sohn o wie lacht

Als ich klein war, endete danach zunächst jedes Mal meine Aufmerksamkeit, denn ich musste darüber nachdenken, dass Gott offenbar noch einen zweiten Sohn hatte. Owi. Typisch, dachte ich, alle reden von Jesus, und Owi wird von niemandem beachtet. Wenigstens lacht er, das ist schon mal gut. Wahrscheinlich freut er sich, dass er einen kleinen Bruder bekommen hat. Und Jesus kann einen großen Bruder sehr gut gebrauchen, bei allem, was auf ihn zukommt. Aber wann hat Owi Geburtstag? Warum wird der nicht gefeiert? Warum kommt Owi auf den ganzen Bildern in den Kirchenfenstern gar nicht vor? Owi tat mir leid.

Aber später dachte ich, Owi hat es gut. Der kann abseits vom ganzen Trubel machen, was er will. Die stille Nacht genießen nämlich. Und niemand erwartet von ihm, dass er heilig ist. Und er darf lachen und hat auch Zeit dafür! Manchmal denke ich, ich höre ihn sogar, irgendwo oben zwischen den Sternen. Es ist ein warmherziges, gütiges Lachen, und dennoch voller Übermut, voller Lebensfreude, denn die ist es doch, die uns antreibt. Vielleicht ist er der gute Geist von all jenen, die mit den Strengen nichts anfangen können, mit den Drohungen von Hölle und Sünde und Strafe. Er muss nicht ans Kreuz genagelt werden, er muss für niemanden sterben. Er weiß, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Und für die, die nicht beachtet werden, ist er ein fröhlicher Kamerad. Vielleicht ist er ein Freund all derer, die eine andere Form des Glaubens haben ohne Kirchen, Psalmen, Predigten, aufwändige Talare und tödliche Kämpfe. Jene, die schlicht in einem Wald oder Garten stehen und dort etwas unfassbar Großes, Glückliches spüren und eine Lebenskraft, die manches zum Guten lenkt. Etwas, das weit über Worte hinausgeht und in dessen Präsenz niemand einsam sein kann.

Vielleicht ist Owi ja auch ein Mädchen. Jesus‘ große Schwester. Das Schöne ist: das ist egal. Denn Owi hat Humor. Vielleicht ist sie es, die uns Leichtigkeit schenkt und die Fähigkeit, auch in schweren Zeiten oft heiter sein zu können. Vielleicht ist er der Pate dafür, dass wir es gerade dann und trotzdem können. Wir wissen jedenfalls immer: Es geht wieder aufwärts. Denn bei allem Ernst der Feiertage und der allgemeinen Lage, wir hören es von allen Chören, allen Radiosendern: Owi lacht.

In diesem Sinne wünsche ich allen leuchtende, besinnliche und erholsame Feiertage und einen zuversichtlichen, heiteren, gesunden Start in ein nagelneues Jahr, in dem eines gewiß ist: Die Gärten werden blühen.

Winter-G(K)arten

As ich klein war, bekamen wir jede Menge Weihnachtskarten. Richtige, aus Papier, denn eMails oder diese unsäglichen blinkenden elektronischen „Grußkarten“ gab es noch nicht. Mein Vater hatte viele Studenten, und wenn sie ihren Abschluß hatten, begaben sie sich in alle Welt. Von dort schrieben sie Weihnachtskarten aus allen erdenklichen warmen und kalten Ländern. Auch gab es alle möglichen Firmen und Vereine, die sich bei meinem Vater in Erinnerung bringen wollten, und da sie aufgrund seines Fachs oft mit Weltraumfahrt zu tun hatten, gab es auf den Karten Motive mit weitem Himmel, unzähligen Sternen und Planeten und einer Menge Universum.

Die Karten klebten wir alle als Rahmen um die Tür zum Weihnachtszimmer. Für mich war es ein magischer Garten, in dem ich in meiner Phantasie spazierengehen konnte, denn draußen war um die Zeit ja nicht mehr so viel möglich und die Tage kurz. So war ich in Gedanken in Wüsten und an Polen unterwegs, flog durch die Milchstraße, traf Rehe und Hasen in tiefem Schnee und sah den Weihnachtsstern hell über traumhaften Horizonten. Das war mein Winter-Garten, und er war vielfältig und grenzenlos.

Nach Weihnachten breiteten wir alle Karten auf der Tischtennisplatte aus und wählten mit viel Bedacht und Diskussionen der sechs- oder mehrköpfigen Familie in mehreren Runden die Schönste von allen aus. Meist war dies eine mit einer verschneiten Landschaft, Tieren, magischem Licht, ein wenig Silberglanz und Sternen. Die Originellste bekam außerdem einen Sonderpreis. Die Gewinner erhielten dann eine Art Urkunde, eine Karte von uns mit der Erklärung, dass und warum diese Karte uns so gefalllen hatte.

Das spornte natürlich an, und so wurden die Karten immer schöner und mein Garten noch reichhaltiger an Überraschungen und Zauber.

Darum freue ich mich heute noch über richtige Weihnachtskarten, die man anfassen und an die Tür hängen kann. Auch wenn sie schlichter geworden sind und nur noch so selten vorkommen, als wären sie zu einem jener scheuen, heimlichen Geschöpfe geworden, die mir damals in den Bildern begegneten. Und wenn es mir möglich ist, schreibe ich welche, damit irgendwo jemand für einen lichten Augenblick der Ruhe in Gedanken durch einen Garten oder eine Landschaft spazieren kann.

Die Farben der Ruhe

Hier war es still in diesem Herbst. Vielleicht, weil es in dieser Jahreszeit so überwältigend viele Farben und Wunder und Veränderungen gibt. Weil ich mit Entdecken und Staunen und Schauen so beschäftigt bin, dass kaum Zeit für anderes bleibt. Oder weil in meinem Leben viel geschehen ist. Vielleicht auch, weil die Bilder, die in ihrem herbstlichen Farbenfeuer so groß sind, Worte überflüssig machen. Bilder sind den Worten oft überlegen mit ihrer inhaltlichen Fülle. Und manchmal bin ich der Worte müde und mag mich einfach fallenlassen in das Schweigen und die tiefe Ruhe.

Die Natur macht uns das jetzt vor. Die Zeit der Ruhe ist ein Geschenk. Erholen, Ruhen, Kraft sammeln, neue Wurzeln treiben, langsam und tastend, mit Vorfreude aber ohne Ungeduld. Die nun gedämpfteren Farben betrachten, denn sie sind ebenso schön, nur zarter. Den Aromen nachschmecken, den Gerüchen nach Erde und Frost. Atmen. Schlafen. In neuen Gedanken stöbern wie in alten Briefen. Die Adessen von Freunden wiederfinden und ihnen eine Weihnachtskarte schicken, eine zum Anfassen. Plätzchen backen und Kerzen anzünden und daran denken, dass es kaum noch dauert, bis die Tage bereits wieder länger werden. Mit sich selbst nachsichtig sein. Es ist eine kostbare, so kurze Zeit, diese neblige, stille, langsame, kühle, pastellfarbene, die uns erlaubt, einfach mal stehenzubleiben, nach innen zu sehen und den letzten fliegenden Blättern hinterher, und auch schon die ersten Triebe der Krokusse und Schneeglöckhen zu finden, die bereits nachsehen, ob der Himmel noch da ist. Ist er. Für uns alle, auch in diesen Tagen, auch in diesen Zeiten. Ich wünsche eine besinnliche, behutsame, beglückende Vorweihnachtszeit.

Erwärmender Frost

Advent. Zeit, zur Ruhe zu kommen, und der Garten macht es uns vor. Heute früh war er voller kostenloser Geschenke. Ich besuchte alle meine Freunde in den Beeten und sie erzählten herzerwärmende Geschichten von Schönheit, von Werden, Vergehen, Loslassen, Geduld, Durchhaltevermögen, Vorbereitung und Wiederkehr.

Es war ein Jahr, an dessen Ende viele von uns etwas atemlos, erschöpft, verunsichert oder verwirrt ankommen. Aber ein paar Schritte nach draußen und wir finden Schönheit, die wärmt. Etwas das uns zeigt, wo die Zuversicht wächst. Und dass es manchmal Frost braucht, damit der Frühling wiederkommen kann.

Ich wünsche allen eine leuchtende Zeit, in der wir alle nachsichtig sind mit uns, den anderen und der zerbrechlichen, zauberhaften Welt um uns herum.