Die Kunst der Stille

Das Jahr geht zu Ende, und es war ein übervolles Gartenjahr. Jetzt staune ich immer wieder, wie wohltuend die Ruhe ist, und die gedämpften Farben, und wieviel Licht und neue Formen sich zur Zeit finden, ob bei Frost oder Regen. Es ist auch jetzt jeden Tag eine Freude, durch den Garten zu gehen oder in der nahen Umgebung einen Spaziergang zu unternehmen. An jeder Ecke warten auch mitten im Winter Geschenke. Grüne Spitzen, die schon den Frühling vorbereiten. Das leise Tropfen von Schmelzwasser. Leuchtend bunte Flechten, fröhliche Pilze, einzigartige Baumsilhouetten. Luftblasen im Eis, die schönste Art abstrakter Kunst. Gefrorene Tropfen auf Grashalmen. Geheimnisvolle Nebelgeister, die über das Wasser wehen. Kranichrufe in der Luft. Ja, wir haben sie gehört heute, die Glücksvögel, ganz nahe. Sie läuten das alte Jahr aus und das neue ein, und ich bin voller Dankbarkeit für all das, was wir wachsen und blühen und reifen sehen durften. Wir werden all das wieder erleben. Aber vorerst genießen wir die vielen Gesichter des Durchatmens und der Stille.

Neujahr

Im Frühherbst habe ich zum ersten Mal Stiefmütterchen gesät. Es hat zu meiner Überraschung nur ein paar Wochen gedauert, bis sie blühten. wp-1577883715319.jpgDie kurzen Tage genügten ihnen, um mir seitdem jeden Tag Blüten in den kahlen Garten zu streuen.

Heute, am ersten Tag des Jahres, sind sie wie die meisten von uns ein wenig zerzaust vom vorangegangenen Jahr und dem Winter. Der will zwar nicht so recht einer werden, doch die Nächte sind lang und die Bäume nackt und wir ein wenig müde. Aber die Stiefmütterchenblüten stehen mitsamt den Spuren von Schneckenfraß und Sturmböen aufrecht und hartnäckig im Januarwind, bereit für blauen Himmel. Sie machen mir Mut. Ich bin auch bereit. Und endlich zu alt, um mich des Zerzaustseins und der Spuren wegen zu genieren. Der Himmel ist in Ordnung so, mit oder ohne Blau. Ein neues Jahr um zu blühen, für uns alle, die noch da sind um es zu sehen. Wir blicken mit Staunen und Neugier darauf, das Stiefmütterchen und ich.