










Der Sommer war so angefüllt mit Leben, Lachen, Lernen, Laufen, und natürlich Schreiben, dass hier wenig Worte gelandet sind. Ich schreibe zwei Geschichten auf einmal. Das braucht Zeit, Gespräche und Vorbereitungen. Dazu kommt das Wundern über die Menschheit, die Fassungslosigkeit über manches und die gleichzeitige Hoffnung wegen anderem. Die Zeit scheint bei alledem immer schneller zu verfliegen. Doch der Garten wandelt sich zum Glück derweil in seiner eigenen langsamen Geschwindigkeit. Da wächst es, blüht, reift, wirft Samen auf fruchtbare Erde und in die Mägen der Vögel. Da spaziert ein Igel vorbei, die Schnecken lassen sich dennoch die Dahlien munden, in den Rosenäpfeln schlafen die Gallwespenkinder. Die Meisen melden schon mal den Anspruch auf die Nistkästen im nächsten Frühjahr an. Die Spinnen ziehen ihre Netze um die Gartenlaternen. Die Distelfinken essen sich satt an den Sonnenblumenkernen. Der Morgentau taucht alles in Silberfunkeln und die fallenden Blätter der Birken schütten Goldmünzen über unser Reich. Zumindest hier ist alles in Ordnung. Die Hummeln finden immer noch Süßes in der Bartblume und den Astern. Die Amsel kämpft noch mit der Mauser und verteidigt dennoch entschlossen jede Beere. Die Dürre war schwer, und doch ist der Rasen schon wieder grün, weil jede Krise auch Stärken hervorbringt. Ich nehme mir ein Beispiel daran, jedenfalls bemühe ich mich. Der unfaßbare, glühende Farbenrausch erfüllt mit Glück, Staunen, Demut, Lebenshunger, Dankbarkeit, Zuversicht.
Der Garten war diesen Sommer ein Ort der Liebe und des Trostes, der Ideen und Pläne und der Lebendigkeit im unglaublich vielfältigen Miteinander größerer und auch der winzigen Lebewesen. Da brauchte es gar nicht viele Worte.
Das meiste wird auch den Winter überstehen. Reichlich Samen und Zwiebeln sind in der Erde, die Insekten haben für die nächste Generation vorgesorgt, und wenn die dunklen Tage kommen, kann man sich gemeinsam an Geschichten wärmen, ob beim Schreiben oder Lesen oder dem Betrachten der zaubervollen Bilder, die da draußen durch das Licht und das Leben entstehen, unweigerlich und immer wieder.






Am Samstag habe ich Lucys Garten einmal sich selbst überlassen. Ich war mit meinem Stehpaddelbrett auf dem See, ganz früh am Morgen. Das Brett habe ich im letzten Sommer auf den Namen Kalani getauft, das ist ein hawaiianisches Wort für Himmel. Denn wenn ich darauf stehe und auf dem klaren Wasser unterwegs bin, in dem sich dieser Himmel spiegelt, dann sieht es für mich aus als führe ich durch Wolken. Es war so früh, dass ich allein war bis auf einige Schwimmer. Der glänzende große Spiegel war leer bis auf mich kleinen Punkt. Und dann stieg die Sonne über die Baumwipfel, streute ihr Funkeln auf den See und warf mir eine Brücke aus Licht zu.




Ich bin verliebt. In die Rose, die ich erst im letzten Sommer gepflanzt habe. Jetzt ist sie so voller Licht und Lebenskraft, dass ihr überschäumender Schwung mich trifft wie eine erfrischende Dusche und mir so viel davon abgibt. Sie kann ihre Blüten kaum tragen, doch das ist ihr egal. Sie lehnt sich an den Pfirsichbaum, an die Aster, den Mohn, das Unkaut, die Erde, was auch immer eben da ist. Sie denkt nicht daran, sich irgendwie zu beherrschen oder einzuschränken, warum auch? Es muss nicht alles gerade und ordentlich stehen. Sie ist ein Schwall, ist pure Überzeugung, sie meint es voller Heiterkeit durch und durch ernst mit dem, was sie tut. Wachsen. Blühen. Duften. Was für ein Duft! Ich brauche nur vorbeigehen, und dieser Duft haftet an mir wie alte Erinnerungen, kostbar, herbsüß, flüchtig und ewig zugleich.
So möchte ich schreiben können, so, wie sie ist. Sie macht mich größenwahnsinnig, und sie macht, dass ich mich in den langersehnten Regen lege, auf dem Rücken ins Gras, und unter dem sanften Tröpfeln zu ihr aufsehe, bis wir beide nass sind von silberglänzenden Tropfperlen.
Den Gingko habe wir zur Hochzeit geschenkt bekommen. Er hat seither viel erlebt. In jedem Frühling erzählt er diese Geschichten neu. Wenn diese Blätter sich wie ein kleines grünes Feuerwerk entfalten, ist das für mich ein besonderes Sinnbild für Frühlingsglück. Er nimmt nicht viel Platz ein und ist genügsam, aber er zielt geradewges zum Himmel, jedes Jahr ein bißchen weiter. Und im Herbst leuchtet er golden wie die Erinnerungen.

So gern ich in Lucys Garten bin, an so vielen Tagen wie möglich öffne ich gleich morgens das Gartentor und laufe einfach los. Das ist meine Zeit, wenn der Tag neu ist, die Luft nach Tau und Aufbruch riecht und kaum jemand unterwegs ist. Der Weg von heute ist nur bei großer Trockenheit begehbar. Bisher bin ich immer daran gescheitert. Diesmal, bei zwanzig Grad im April an einem Sommermorgen, der sich in Frühlingsgrün verkleidet hatte, öffnete er sich Schritt für Schritt, zwischen Apfelblüten und Schilf.

